Interview mit der Stadtratskandidatin Maren Schellenberg
Persönliches Engagement
Frau Schellenberg, seit fast 30 Jahren leben Sie im Bezirk und sind hier seit 2006 für die Bündnisgrünen in der Bezirksverordnetenversammlung. Was macht für Sie den besonderen Charme des Bezirks aus?
Auch wenn dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf das ziemlich Gutbürgerliche und Alte anhängt, so ist das nur auf den ersten Blick so. Zwischen Schloßstrasse und Wannsee, das ist grün und urban zugleich und auch eine gute Mischung zwischen Jung und Alt. Ich treffe hier viele engagierte und interessierte Menschen jeglicher Couleur und Herkunft, durchaus mit Ecken und Kanten. Für mich eine spannende Mischung.
Was hat sich in den letzten Jahren hier zum Positiven verändert?
Da fallen mir zwei Sachen ein: Die Menschen hier interessieren sich vermehrt für ihren noch relativ jungen Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Sie wollen mehr mitreden und sich einmischen, was natürlich unserer grünen Urphilosophie entgegenkommt. Die Politik hat das verstanden, ist weniger verkrustet und man geht auch bei Meinungsunterschieden offener und respektvoller miteinander um.
Positiv entwickelt hat sich die Steglitzer Schloßstraße, die in den 90er Jahren noch ein im Sinken begriffener Stern war, die jetzt aber zu einem attraktiven und lebenswerten Boulevard geworden ist, der auch für Flaneure da ist und das Image der Durchgangsstraße abgelegt hat.
Weshalb haben Sie sich im Bezirk politisch engagiert? Gab es da einen Anlass?
Eigentlich keinen Konkreten. Ich interessiere mich seit jeher für das Kleine, das Direkte in meinem Umfeld. Zur großen Politik hab ich zwar eine Meinung zu allem, aber hier im Bezirk kann man doch konkreter etwas bewegen. Die Grünen mit ihrem partizipativen Ansatz sind dafür für mich „passgenau“.
Grün im Zeichen des Wachstums
Wachstum der Stadt und des Bezirks ist eher eine Chance, das ist inzwischen nahezu politischer Konsens. Bei der Wahl im September wird es deshalb primär um die Gestaltung dieses Wachstums gehen, ohne dass die Stadt aus der Balance gerät. Die Grünen sind einst als wachstumskritische Partei gestartet. Gilt das heute so nicht mehr?
Ein klares Jein. Sicher ist weniger manchmal mehr. Es darf kein grenzenloses Wachstum um jeden Preis geben mit Raubbau an unseren Lebensgrundlagen. Es muss sich aber immer an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, denn wir brauchen ja z.B. Wohnungen und auch Einkaufsmöglichkeiten. Insofern hat Wachstum ja durchaus auch etwas Positives, denn es ist immer auch eine Entwicklung. Im Status quo verharren zu wollen ist mir zu rückwärtsgewandt.
Was heißt es gerade hier im Bezirk konkret, Wachstum und Umwelt zu miteinander in Einklang zu bringen?
Nehmen wir das Beispiel der ehemaligen Park-Range in Lichterfelde-Süd, Berlins größtes Bauprojekt, wo etwa 2 400 Wohnungen neu entstehen sollen. Die Grünen im Bezirk haben für das Konzept der Grünen Mitte gekämpft. Wir sind hierbei auf einem guten Weg mit einer reduzierten, sozial ausgewogenen Mischbebauung, die einen guten Einklang zwischen Natur und Wohnen bietet. Nicht einfach alles zubauen, auf die Mischung kommt es an, war dabei von vornherein unsere Devise.
Gerade Familien sind ja wegen des Grüns hier oder ziehen deshalb hierher. Alles auf Grün, so das Wahlkampfmotto der Berliner Grünen, kann das aber auch heißen alle Grünflächen um jeden Preis zu erhalten?
Grünflächen müssen auf jeden Fall erhalten werden, aber eben nicht jeder Baum und jede Fläche. Im Konkreten heißt das: Wohnungen auf dem Gebiet des Tanklagers am Teltowkanal ja, Bebauung von Liegewiesen am Insulaner Nein. Ich bin nicht diejenige, die sich an jeden Baum kettet, um ein Haus zu verhindern. Wichtig ist mir aber auch Grünflächen ökologisch sinnvoll zu pflegen und Straßenbäume nachzupflanzen.
Bürgerbeteiligung und ihre Grenzen
Wie stehen Sie zur Bürgerbeteiligung, die wie so oft vom Senat und von der Konkurrenz zu hören, doch eher ein Entwicklungshindernis ist, und zukunftsweisende große Würfe verhindert?
Problem ist nicht ein Bürgerentscheid als solcher, sondern sein Missbrauch. Das Sankt Floriansprinzip bei vielen nach dem Motto „Jugendliche brauchen Bewegung und einen Bolzplatz, aber nicht in my backyard“, wie es so schön heißt, kann keine verantwortungsvolle Politik sein. Bürger mitnehmen, informieren und Transparenz und Sachlichkeit in die Entscheidungen bringen, muss unser Handeln leiten. Aber bei aller Interessenabwägung müssen wir gleichzeitig aufzeigen, wo Grenzen sind.
Wohnen: Auf die Mischung kommt es an
Stichwort Wohnungsbau. Wo sollen neue Wohnungen im Bezirk entstehen und wer soll sie finanzieren?
Furchtbar viel Platz haben wir nicht mehr, wenn wir unsere typische Mischung im Bezirk erhalten wollen. Lichterfelde-Süd, Lückenbebauungen und (noch) einige kleinere Gebiete können wir noch erschließen. Dabei kann der Bezirk selbst keine Wohnungen bauen, sondern immer nur das genehmigen, was wir angeboten bekommen. Das sind meistens natürlich Privatinvestoren. Allerdings sollten wir das Instrument des Städtebaulichen Vertrages durchaus mehr nutzen, um eine gewisse soziale Durchmischung zu gewährleisten.
Die Grünen setzen sich, so der Eindruck, oft mehr für die Belange der Mieter ein. In Steglitz vielleicht verständlich, aber sonst gibt es viel Eigentum und es entstehen primär Eigentumswohnungen und Häuser für eine eigentlich oft sehr grünaffine Klientel. Ein Widerspruch?
Auch hier kommt es auf die Mischung an. Einerseits ist es wichtig gemeinnützige Baugenossenschaften oder ähnliches für den Mietwohnungsbau zu gewinnen, aber Familien mit Kindern aus den Innenstadtbezirken, die zu uns wollen, suchen oft Eigentumswohnungen oder wollen Reihenhäuser bauen. Auch sie sind uns willkommen. Da gibt es schon gute Beispiele wie die kleinteilige Onkel-Tom-Siedlung mit Eigentum und Miete. Richtig, dass man so etwas noch baut.
Neues Mobilitätsverhalten fördern
Mehr Menschen, mehr Verkehr. Die Nabelschnur des Südwestens, die S1, oft kurz vor dem Infarkt, immer längere Staus an den Hauptverkehrsstraßen und der M48 als Berlins unzuverlässigste Buslinie. Was muss geschehen, damit der Verkehrsinfarkt ausbleibt?
Ohne Bewusstseinswandel der Menschen wird es nicht gehen, denn der motorisierte Individualverkehr im heutigen Maße ist ein Auslaufmodell. Dazu müssen wir aber attraktive Alternativen bieten. D.h. den ÖPNV auszubauen, etwa mit dem Lückenschluss der U-Bahn Krumme Lanke-Mexikoplatz, höheren Taktzeiten auf der S1 und eine optimale Vernetzung mit Buslinien, auch in zukünftige Neubaugebiete wie Lichterfelde-Süd. Das Umsteuern muss aber im Land beginnen. Deshalb ist ein Regierungswechsel einfach zwingend.
Die Grünen haben in den letzten Jahren im Bezirk – auf niedrigem Niveau aufbauend – viel für den Ausbau der Fahrradwege getan. Vieles ist dabei aber Stückwerk geblieben. Wie soll es da weiter gehen?
Wir wollen mehr Fahrradstreifen und dort, wo es nicht geht, Fahrradwege und Überquerungen so ausbauen, dass man sich nicht das Kreuz bricht. Aber hierbei kommt es natürlich in erster Linie auf das Land an, denn ohne Landesmittel und Unterstützung ist nicht viel umsetzbar. Dabei können wir aber auf eine positive Stimmung setzen, siehe Fahrradvolksentscheid. Vor Ort gilt es für uns, die Mittel, die wir haben, möglichst effektiv einzusetzen. Mit den anderen Parteien ist das nicht immer ganz einfach.
Raddiebstahl, oft auch an Bahnhöfen und Schulen, ist ein großes Thema. Wie ist hier mehr Sicherheit zu schaffen?
Wir wollen Fahrradparkhäuser, wie bald am S-Bahnhof Zehlendorf bauen. Zudem können wir bei der Aufstellung von Fahrradbügeln noch einiges tun. Allerdings trägt auch der Fahrradfahrer Verantwortung für eine optimale Sicherung seines Gefährts.
Bessere Bürgerämter mit mehr Peronal
Die Verwaltung scheint von Zuzug und hohen Flüchtlingszahlen überfordert, siehe Lageso, Sporthallenbelegung, kollabierende Bürgerämter und Kompetenz-Wirrwar allerorten. Modernisierung der Verwaltung ist deshalb das Topthema der Grünen. Wie wollen Sie die Trendwende schaffen?
Erst einmal brauchen wir auch vor dem Hintergrund der Alterspyramide im Öffentlichen Dienst mehr Leute und eine bessere Nachwuchsgewinnung. Ohne Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Dienstes wird das nicht gehen, wozu auch Timesharing und für Familien attraktive Arbeitszeiten gehören. Im Bezirk wollen wir ganz konkret mehr ausbilden und die Leute an den Bezirk binden.
Zu einer guten und effektiven Verwaltung, die Service an den Bürgern leisten kann, gehört insbesondere eine Datenverarbeitung und Hardware auf der Höhe der Zeit. Vom Senat gibt es dabei fast nur Ankündigungen.
Vielfältige Schulen gut in Schuss
Schulsanierung und Schulneubau stecken sprichwörtlich im Stau. Viele Eltern können das Wort knappe Kassen nicht mehr hören. Ist Schulsanierung nur in Sonntagsreden eine Priorität?
Natürlich müssen wir mit den Mitteln vernünftig umgehen, aber hier im Bezirk geht das meiste Geld in die Schulsanierung und das soll auch so bleiben. Ich versteh die Eltern nur zu gut, denn Kinder müssen leider oft in Verhältnissen lernen, die fast aus dem vorvorigen Jahrhundert stammen. Wir brauchen aber auch hier mehr Unterstützung durch das Land und nicht einzelne Sonderprogramme, die nur Stückwerk sein können.
Die Grünen gelten vielen oft als gymnasialfeindlich. Jetzt sind sie eine treibende Kraft für die Schaffung eines Europagymnasiums im Bezirk. Erklärungsbedarf?
Natürlich haben wir nichts gegen Gymnasien. Meine Tochter ist auf einem Gymnasium und mein Sohn war auf der Sekundarschule. Ich bin für Vielfalt, denn nicht jedes Kind ist für jede Schulform geeignet. Deshalb kämpfen wir auch für ein Europagymnasium in Wannsee, denn hier gibt es im Bezirk eine Leerstelle. Leider sieht die SPD-Bildungssenatorin das nicht so.
Bewegung an den Seen
Nach vier Jahren hat die Stadt jetzt endlich ein neues Hundegesetz, das auch Nutzungseinschränkungen an der Krummen Lanke und am Schlachtensee möglich macht. Die grüne Stadträtin hatte viel Zustimmung aus der Bevölkerung erhalten, die Gerichte hatten dennoch die Hundeverordnung kassiert. Wie soll es weitergehen?
Das neue Gesetz macht, so wie wir es immer gewollt haben, ein temporäres Mitnahmeverbot an den Seen möglich. Mit Augenmaß kann hier sicherlich eine Lösung gefunden werden. Aber im Kern hat die ganze Sache doch dazu geführt, dass wir die real existierenden Konflikte angegangen sind und dass sich durch die ganze Diskussion etwas bewegt hat. Das ist eigentlich ein großer Erfolg.
Frauen machen es anders
Frauen sind bei den Grünen seit jeher auch in Führungspositionen gleichberechtigt vertreten. Auch die CDU tritt dieses Mal mit einer Spitzenkandidatin an. Was machen Frauen anders und manchmal vielleicht auch besser?
Selbstverständlich besser! Spaß beiseite, sie sind, so wie ich es sehe, oft abgewogener, zielgerichteter und kompromissbereiter. Es geht bei ihnen weniger um Macht, weil sie inhaltlich etwas wollen und deshalb oft nicht so stur sind. Oft laufen sie damit aber Gefahr ins Abseits gedrängt zu werden. Da haben wir Frauen noch etwas zu lernen.
Mit ziemlicher Sicherheit übernehmen Sie im Herbst Verantwortung als Stadträtin. Wo liegt dabei ihr besonderes Interesse?
Die Ressortverteilung wird von der politischen Konstellation abhängen. Als Juristin und auch als Fraktionsvorsitzende in der BVV habe ich gelernt, mich in alles einzuarbeiten. Und für mich als Schwäbin gilt, wir können alles außer Hochdeutsch! Allerdings sollten wir Grünen sehen, dass wir unsere Kernkompetenzen einbringen können. Aufgabengebiete dürfen dabei nicht zu groß sein und müssen zusammenpassen, so dass Synergien erzeugt werden können, z.B. im Bereich Umwelt, Tiefbau und Grünflächen.
Politischer Ausblick
Die Zählgemeinschaft mit der CDU war in Berlin ein Unikum und gilt vielen altgrünen Wählern immer noch als widernatürlich. Alles nur eine Frage der Rechenkunst oder gibt es auch inhaltliche Schnittstellen?
Im Bezirk, wo es um doch sehr lokale Sachen geht, ist das kein automatischer Widerspruch. Auf Landesebene würde ich es aber anders sehen.
Wir haben mit der CDU hier oft kontrovers diskutiert, aber im Endeffekt immer vertrauensvoll und erfolgreich zusammengearbeitet. Man konnte sich einfach aufeinander verlassen, was ein hohes Gut ist. Seit 10 Jahren können wir aus der Mehrheitsposition agieren. Da haben wir mehr als aus der Minderheitsposition machen können. Nach der Wahl bleibt die SPD natürlich aber auch ein Ansprechpartner für uns.
Gibt es ein Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt, das bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode realisiert sein sollte?
Der Abschluss der Schulsanierung im Bezirk. Ganz persönlich wünsche ich mir zudem, dass Zehlendorf-Mitte mit seiner Dorfaue bis zur Riemeisterstraße insgesamt aufgewertet und neu gestaltet wird. Und natürlich, dass die vielen kleinen Kieze mit einer funktionierenden Nahversorgung sich erhalten und entwickeln können.
Das Interview führte Eckhard Lüth
Steckbrief zu Maren Schellenberg:
Geb. 1962
Verheiratet
Ein Sohn (20) , eine Tochter (18)
Aufgewachsen im Schwäbischen und in Nordrhein-Westfalen
Studium : Freiburg im Breisgau
Beruf : Rechtsanwältin, langjährige Rechtsreferentin und Leiterin Abt. Weiterbildung in der Ärztekammer Berlin
In Berlin seit 1987, zuerst in Steglitz und seit 1997 in Zehlendorf
Politische Laufbahn: Seit 2003 bei Bündnis 90/Die Grünen, in der BVV seit 2006
Lieblingsort im Bezirk: Fischtalpark
Lieblingsautoren: Isabel Allende und Krimis
Lieblingsmusik: Deutschrock besonders BAP
Lieblingsurlaubsort: Andalusien
Lebensmotto: Ein bisschen Gelassenheit macht das Leben leichter