„Es geht darum, wofür wir Politik machen!“

Bevor die BVV in der letzten Sitzung die Umbenennung der Treitschkestraße beschloss, hielt unser Fraktionsmitglied Daniel Eliasson eine vielbeachtete Rede.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn es nach der Zählgemeinschaft ginge, würden wir heute über Betty Katz reden. Über ihr Wirken im Bezirk, über ihr Leben, über ihr dramatisches Schicksal und ihre Ermordung im Juni 1944 im KZ Theresienstadt. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert und die CDU hier hat noch immer nicht verstanden, dass die Umbenennung der Treitschkestraße bereits vor zwei Jahren beschlossen wurde und es für eine Rücknahme dieser richtigen und überfälligen Entscheidung hier keine Mehrheit gibt, heute nicht und aller Voraussicht nach auch nicht in der Zukunft. Finden Sie sich endlich damit ab!

Aber sei’s drum. Ich tu Ihnen jetzt sogar den Gefallen und frage selbst:

Warum sollten wir überhaupt die Treitschkestraße umbenennen?

Es gibt ja viele starke Argumente, die dagegen sprechen.

Das erste Argument: der „Wille“ der Anwohnerinnen, der vor 12 Jahren einmal erfragt wurde und ergab: die Mehrheit möchte keine Umbenennung. Dieses Argument wiegt schwer und bringt zum Nachdenken. Beim Nachdenken ist mir dann eingefallen, dass die ganzen Adolf-Hitler-Straßen und -Plätze nicht auf Willen der Bürgerinnen umbenannt wurden, sondern im Rahmen der Entnazifizierung. Und wenn Sie in Geschichte aufgepasst haben, dann werden Sie wissen: das war kein freiwilliger Prozess. Aber nötig war er.

Das zweite Argument, noch viel wichtiger als das erste, kommt laut Morgenpost aus „CDU-Fraktionskreisen“. Diese ominösen Fraktionskreise erinnern daran, wie viel Mühe wir uns dabei gegeben haben, den Namen Treitschke in ein „Ensemble“ einzubetten. Ohne den Antisemiten Treitschke, sei der Jude Harry Breslau oder eine Infotafel über Treitschkes Antisemitismus doch nicht zu rechtfertigen! Die Botschaft ist klar: Der Jude allein reicht nicht aus, er braucht deutsche Antisemiten, um Relevanz zu haben. Der Name Betty Katz ist sicherlich rührend, aber taugt eine im Holocaust ermordete Jüdin wirklich dazu, an die schrecklichen Folgen von Antisemitismus zu erinnern? Das sind wichtige Fragen, die jede und jeder hier wohl für sich selbst beantworten muss.

Das dritte Argument kommt von einer prominenten Figur, die wir jetzt schon fast zwei Jahre bitterlich im Ausschuss für Bildung und Kultur vermissen. Die direkt gewählte Frau Dr. Wein hat das Problem „Treitschkestraße“ für uns gänzlich gelöst, indem sie in ihrem Infoschreiben an die Bürgerinnen und Bürger Treitschkes Judenhass einfach unter den Teppich gekehrt hat. Wenn die Leute glauben, Heinrich von Treitschke sei einfach nur ein einflussreicher Historiker und Publizist mit umstrittenen Ansichten gewesen, wundern sich die Anwohner*innen bestimmt über die linksgrünen Aktivisten, die wieder einen verdienten Deutschen plattmachen wollen. Bei Straßenumbenennungen durch links-grün gehe es schließlich oft um – ich zitiere Frau Dr. Wein aus der BVV im Oktober 2022 – „Menschen, die auch gute Züge haben, dennoch in schwierige Dinge geraten“. Ich habe mal von einem künstlerisch veranlagten Autobahnbauer gehört, der auch ganz falsch abgebogen ist. Was mit den nach ihm benannten Straßen und Plätzen passiert ist, habe ich ja zu Anfang schon angesprochen.

Das, was Frau Wein da erzählt, ist aber nicht wirklich neu für diese CDU, das will ich hier einmal klarstellen. Als wir hier 2022 die Treitschkestraße diskutiert haben, hörten wir es auch von Ihnen, Herr Hippe. Treitschke sei ein Kind seiner Zeit gewesen, sagten sie damals. Die anderen seien ebenso antisemitisch gewesen, sagten Sie. Welch ein Mangel an historischem Wissen! Treitschkes Antisemitismus war so besonders, dass er den Berliner Antisemitismusstreit auslöste. Das war kein 0815-Antisemit, das war ein High-Performer, der Pelé des Antisemitismus im 19. Jahrhundert. Er war seiner Zeit voraus, erst 50 Jahre später wurde Judenhass zur nationalsozialistisch-deutschen Staatsräson.

In diesem Sinne geht es jetzt beim vierten Argument nahtlos weiter. Jedes Mal, wenn es um deutsche Verbrechen, deutschen Antisemitismus geht, wechseln manche hier einfach das Thema. Viel wichtiger, als über die Schoa, über Rechtsextreme oder über die Vorväter des deutschen Judenhasses zu sprechen, ist es, Antisemitismus von Links und aus migrantischen Milieus zu kritisieren, Herr Hippe. Manche hier behaupten: Jüdinnen und Juden sind nur durch Antisemitismus aus diesen Gruppen bedroht. Der Antisemitismus, der durch jahrhundertelange deutsche Kultur und Bildung salonfähig gemacht wurde, der sich in Schriften wie denjenigen Treitschkes manifestierte, sei nicht von Belang. Die Autoren, die die ideologische Grundlage für NS-Antisemitismus geliefert haben, die ehren wir einfach weiter, weil der linke Antisemitismus, weil der Antisemitismus der Ausländer schlimm ist. Wir konzentrieren uns auf die, die Schuld sind: und das sind, wie immer, nur die Anderen!

Und vergessen wir nicht die Kosten, den Verwaltungsaufwand! Das ist Argument 5, ich hoffe hier zählen alle mit. Durch eine Umbenennung der Treitschkestraße könnten Kosten entstehen. Und das bei dieser Haushaltslage! Und dann auch noch der Aufwand, über den die CDU und ihr Stadtrat nachweislich Unwahrheiten erzählt haben. Da hat mir Herr Kronhagel auch nicht widersprochen. Es ist doch offensichtlich, dass das Gedenken an die Opfer deutschen Judenhasses und eine klare Stellungnahme gegen Antisemitismus niemals etwas kosten dürfen, niemals minimale Unannehmlichkeiten mit sich bringen dürfen. Vielleicht sollten wir die Mehrheit auch befragen, in welcher Höhe man überhaupt Haushaltsmittel für den Schutz und die Förderung jüdischen Lebens in Deutschland und die Bekämpfung von Antisemitismus bereitstellen sollte. Das wahre Ausmaß des Antisemitismus unterschlagen wir bei der Information zur Befragung auch noch – dann sparen wir uns gleich alle Haushaltsmittel zu Antisemitismus.

Es wäre natürlich kostengünstiger, wenn wir uns einfach alle 6 Monate am Sderotplatz oder an der Spiegelwand sehen – die sie auch nicht haben wollten – , dort einen Kranz niederlegen, uns gegenseitig auf die Schulter klopfen und wieder in unsere Büros zurückkehren, wo wir Briefe an Anwohnerinnen schreiben, in denen wir den Antisemitismus von Treitschke verschweigen. Und wenn wir die Straße umbenennen, wie geht es weiter? Sollen wir bald gar keine Antisemiten, Rassisten oder Kriegsverbrecher mehr auf unseren Straßenschildern haben? Meine Damen und Herren, das wäre wahrlich nicht mehr mein Deutschland! Herr Hippe, ich hoffe, ich habe Ihnen noch ein paar intakte Argumente gelassen. Stopp, eins hab ich noch: wer nur die Flagge von Sderot und nicht die Flagge von Israel vorm Rathaus hisst, solle über Antisemitismus für immer und ewig schweigen. Oder so. Das waren jetzt sieben. Mit viel Fantasie und ideologischer Verrenkung, bringen Sie uns auf die 10 heute! Aber ganz ehrlich, ich bin gespannt, was sie sich heute Neues einfallen lassen, um sich vor einem konsequenten Vorgehen gegen den Antisemitismus, den der Name „Treitschke“ in unserem Bezirk präsent hält, zu drücken. Sich selbst und ihre ganze Fraktion und Partei bloßzustellen fällt ihnen leichter, als eine dogmatisch festgefahrene Position endlich abzuräumen. Das war noch nie offensichtlicher als im Kulturausschuss diesen Monat. Man hat ihren Fraktionären angesehen, wie überfordert sie mit der wirklich historischen Situation waren. Dort wurden Ihnen, dort wurden der CDU die Leviten gelesen: nicht nur von Sigmount Königsberg, dem Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, nein, auch Dr. Felix Klein war als Antisemitismusbeauftragter der deutschen Bundesregierung dort und hat ihnen ganz deutlich gesagt, dass die Akzeptanz einer Straße, die nach Treitschke benannt ist, zur Legitimierung des Alltagsantisemitismus der heutigen Zeit führt. Das heißt, es geht hier um keine Symbolentscheidung, Herr Hippe. Hier geht es um eine ganz praktische Entscheidung gegen den Judenhass. Da waren viele Anwohnerinnen der Noch-Treitschkestraße, die nach vorne kamen, und ihnen ihre Meinung gegeigt haben für ihre ewiggestrige Haltung, für ihren Unwillen, ihren historischen Fehler endlich zu korrigieren. Die CDU-Kolleginnen im Ausschuss haben sich ja sogar geweigert, den beiden Beauftragten zu applaudieren. Es geht hier um Ihre Glaubwürdigkeit als CDU, Herr Hippe. Gibt es in der Politik etwas Wichtigeres als das? Die CDU gibt hier seit Jahren kein gutes Bild ab, aber dieses Mal haben Sie sich mit dem Fehltritt von Frau Dr. Wein und ihrer CDU Steglitz wirklich ein Riesen-Ei gelegt. Und sie hätten auch diesen zweiten Kulturausschuss wirklich nicht gebrauchen können, Herr Hippe. Diese Peinlichkeit haben Sie ganz persönlich der CDU eingebrockt! Da draußen versteht Sie niemand mehr. Nicht mal Ihre eigenen Wähler, von denen so einige eine wirklich konsequente Haltung gegen jeden Antisemitismus leben. Wahrscheinlich versteht nicht mal Herr Wegner was das soll, er würde ja selbst den Hindenburgdamm umbenennen. Diese ideologische Borniertheit, diese schwarz-rechte Ideologie, die Sie hier an den Tag legen, die ist das Gegenteil von der pragmatisch-bürgerlichen Politik, die Sie für sich beanspruchen. — „Und die Erde dreht sich doch“ – hat Galileo Galilei vor 500 Jahren gesagt, aber Sie ignorieren die Veränderungen der Welt seit drei Jahrzehnten beharrlich. Bis heute hat sich die CDU Steglitz und auch ihre direkt gewählte Abgeordnete, Frau Dr. Wein, nicht entschuldigt für den Brief vom 17. Dezember. Dabei gäbe es zwei geeignete Adressaten, für eine solche Entschuldigung. Erstmal die Jüdinnen und Juden in diesem Land. Es ist zutiefst anstandslos und geschichtsvergessen, in einem Schreiben zum Thema Treitschkestraße seine widerwärtigen Ansichten lediglich als „umstritten“ zu relativieren. „Die Juden sind unser Unglück“ ist nicht umstritten! Und zweitens sollten sie sich bei den Anwohnerinnen der Noch-Treitschkestraße entschuldigen, die sie mit diesem Schreiben versucht haben, irrezuführen. Sie gaben den Bürger*innen nur ein grob verzerrtes Bild der Fakten, aber riefen dazu auf, in den Ausschuss zu kommen und sich mit ihnen gegen die Umbenennung auszusprechen. Und dann kam Frau Dr. Wein angeblich wegen Krankheit nicht mal in den Ausschuss, obwohl sie schon am nächsten Tag gesund und munter im Abgeordnetenhaus zuwege war.

Und wissen Sie, was wirklich absurd ist, Herr Hippe? Sie tun hier so, als sei es ein revolutionärer Akt, den Namen Treitschke von einem Straßenschild zu nehmen. Aber selbst der Deutsche Städtetag, ganz gewiss kein Hort links-grüner Radikalität, hat längst verstanden, worum es geht und hat 2021 in einem Kriterienkatalog klargemacht, dass es bei Straßennamen eben doch um Ehrung geht und Menschen, die keine Ehrung verdienen, sich auch nicht als Namensgeber für Straßen eignen. Die Zählgemeinschaft folgt also den Empfehlungen des deutschen Städtetags – korrekt und transparent. Treitschke bleibt in den Geschichtsbüchern, als Warnung vor den akademischen Wegbereitern von Hass und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und nur dort gehört er hin.

Sehr geehrte Damen und Herren,
im Antrag mag es um eine Straßenumbenennung gehen, aber alle, die hier sind, alle, die im Ausschuss für Bildung und Kultur waren, haben es gehört: es geht um viel mehr als das. Es geht im Kern darum, wie und wofür wir Politik machen. Ob wir konsequent und ehrlich sind, oder ob wir uns hinter fadenscheinigen Argumenten verstecken, ob wir die Menschen da draußen anlügen.

Es steht die grundlegende Frage im Raum, ob wir das Mandat, das uns von den Bürger*innen dieses Bezirks anvertraut wurde, verantwortungsvoll wahrnehmen – auch wenn dies bedeutet, schwierige Entscheidungen zu treffen, die möglicherweise auf vereinzelte Kritik stoßen, aber im Gesamtinteresse richtig und notwendig sind. Oder ob wir uns stattdessen hinter vermeintlichem „Bürgerwillen“ verstecken, weil wir entweder Angst vor Gegenwind haben oder nicht bereit sind, unsere eigenen Positionen zu überdenken.

Ich möchte als Grüner heute klarstellen: Die Befragung im Jahr 2012 war aus meiner Sicht ein Fehler. Hätte ich damals politisch Verantwortung getragen, hätte ich entschieden gegen diesen Kompromiss gekämpft. Denn eines steht außer Frage: Eine CDU, die Antisemitismus nur nach eigenem Ermessen und politischer Opportunität thematisiert, entzieht sich ihrer Verantwortung!

Heinrich von Treitschke ist ein Teil der deutschen Vergangenheit, aber sein Name sollte kein Teil unserer Gegenwart und Zukunft sein. Es gibt genug Orte, an denen über seine Rolle als Antisemit und seinen Beitrag zur Verbreitung judenfeindlicher Ideologien aufgeklärt wird, auch dank dieser BVV – aber ein Straßenschild in diesem Bezirk, in dieser Stadt, ist der falsche Ort dafür.
Lassen Sie diese Argumente doch mal an sich ran. Springen Sie heute über Ihren Schatten. Zeigen Sie den Mut und die Weitsicht, eine falsche Position zu räumen, statt an ihr festzuhalten. Zeigen Sie uns, dass sie nicht mehr der Kreisverband sind, dem ein Antisemit wie Heinrich Lummer angehörte. Stimmen Sie für die Betty-Katz-Straße.

Vielen Dank.

geschrieben am 30. Januar 2025 von Carsten Berger