Die Dahlemer Iltis-, Lans- und Takustraße endlich umbenennen

Es geht seit vielen Jahren um die Umbenennung dreier Dahlemer Straßen, deren Hauptanliegerin heute die Freie Universität ist, in der Lansstraße auch  Museumsgebäude der Staatlichen Museen.  Die 1906 erfolgten Straßenbenennungen erinnern an ein deutsches kaiserliches Kananonenboot (S.M.S Iltis), dessen damaligen Kapitän (Wilhelm Lans/später Admiral) und das im Jahr 1900 von diesem Boot im Zusammenhang der Niederschlagung des sog. Boxeraufstandes, was ein großes Massaker unter Beteiligung aller damaligen Großmächte war, völkerrechtswidrig zerschossenene chinesische Fort Taku. Die Namen erinnern damit an imperialistische Kolonialinteressen und Kolonialverbrechen des Deutschen Kaiserreiches ebenso wie an ihre damalige Glorifizierung. Die 2011 erfolgte historische Einordnung durch eine Hinweisstele kann negative nationale wie internationale öffentliche Wahrnehmung hier alleine nicht hinreichend kompensieren, gerade im Hinblick auf die Bedeutung der Freien Universität Berlin. Es geht mitnichten um eine (gar nicht mögliche) Entsorgung von Geschichte. Was ins Buch der Geschichte gehört verdient aber nicht automatisch öffentliche Ehrung. Alternative Namensvorschläge gibt es, z.B. den Namen der früheren FU-Studentin, späteren namibischen Politikerin und Botschafterin Nora Schimming (1940-2018) – siehe hier (S.67: Nora Schimming statt Iltis. Ein Update zur Straßenumbenennung).

Die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten in der Steglitz-Zehlendorfer Bezirksverordnetenversammlung Umbenennung der drei  Dahlemer Straßen gefordert – der Antrag fand am 19. Juni 2024 in der BVV gegen CDU und FDP keine Mehrheit und ist damit abgelehnt:

„Die BVV möge beschließen:

Das Bezirksamt wird ersucht, zeitnah die Umbenennung der Lans-, Iltis- und Takustraße in Berlin-Dahlem vorzunehmen. Dabei sollen die anliegenden Einrichtungen der Freien Universität, Lehrende und Studierende und die Anwohnenden und Gewerbetreibenden eng eingebunden werden. Die bereits aufgestellte Informationsstele soll aktualisiert und ggf. instandgesetzt werden.

Begründung:
Die Lans-, Iltis- und Takustraße ehren durch ihre Benennung Akteur*innen und Orte deutscher Kolonialverbrechen in China. Insbesondere in Hinblick auf die ansässigen Einrichtungen der Freien Universität ist eine solche Straßenbenennung nicht nur anachronistisch, sondern schädigend für das internationale Ansehen der Universität und des Bezirks.“

Wir dokumentieren hier die Rede unseres Bezirksverordneten Dr. Konstantinos Kostas vor der Bezirksverordnetenversammlung am 19. Juni 2024 (unter Beibehaltung der dem Rededuktus geschuldeten Textgestaltung):

„Die Älteren unter uns können sich noch erinnern: man hat früher Briefe geschrieben, sogar von Hand, und um sie schicken zu lassen, haben wir auf den Umschlag Briefmarken geklebt. Briefmarken haben oft Bilder von Personen gezeigt, die wir als Gesellschaft ehren wollten.

Nun bin ich sicher, dass die Briefmarkensammler unter Ihnen auch sehr fragwürdige Bildnisse besitzen, von Personen, für die wir uns heute als Gesellschaft schämen würden.

Aber stellen Sie sich nun vor, Sie erhalten einen Brief und darauf klebt tatsächlich das Bild eines

Magnaten des Antisemitismus,

eines Theoretikers des Rassismus

oder eines kolonialen Mörders;

dass Sie den Brief nicht aus der Mottenkiste des Urgroßvaters hervorkramen, sondern von der Post bekommen. Mich würde es gruseln, Sie bestimmt auch (bis auf vielleicht zwei oder drei unter uns).

Und dennoch sind Briefmarken Zeugnisse unserer Geschichte, in der wir helle aber auch dunkle Seiten ablesen können.

Zu unserem Thema:

Unweit von hier wurden 1906 durch Straßenbenennung drei Namen geehrt, die mit Kolonialverbrechen des Deutschen Reichs verbunden werden: Das Fort Taku, das Kanonenboot Iltis und sein Kapitän Wilhelm Lans zeugen von kolonialer Willkür, von Kriegsverbrechen und von einer Zeit, die sowas glorifizierte.

Oder sie wurden zumindest als Teil der kolonialen Geschichte des Deutschen Reichs durch die Straßenbenennung verewigt.

Nun will dieser Antrag mit der Glorifizierung und Ehrung der deutschen Verbrechen im kolonialen Krieg gegen China aufräumen.

Ja, die Gegenargumente für Straßenbenennungen aus historischen Gründen sind klar und sehr nachvollziehbar:

  • Die Spur der Geschichte soll in einem Ort lesbar sein, sie kann nicht einfach so ausradiert werden und überklebt.
  • Hinweise auf Stelen oder Infos über QR-Codes kontextualisieren die Namen der Straßen.
  • Es gibt Personen, derer Namen ersetzt werden soll, die aber in einem vergangenen Zeitgeist lebten und sich entsprechend geäußert haben, die aber vielleicht gleichzeitig Positives geleistet haben, daher verdienen sie es nicht, dass eine Benennung nach ihrem Namen geändert wird.
  • Wenn wir damit anfangen, dann können wir nicht wissen, wo wir enden, und außerdem könnte hier auch ein Stück Willkür stecken.
  • Der Aufwand ist zu groß oder unverhältnismäßig.

Das sind einige der Punkte, die generell gegen eine Umbenennung sprechen könnten.

Doch vom Großen zurück zum Kleinen, zu den kleinen Straßen in Dahlem. Hier geht es ja selbstverständlich nicht darum, die Geschichte aus dem Straßenbild zu löschen.

Dahlem ist doch voll von arisierten Häusern und dort liegt die FU, ein Denkmal der amerikanischen Besatzer, die aus dem Dritten Reich ein demokratisches Deutschland schaffen wollten. Und dennoch: Namen, die für den deutschen Kolonialismus stehen, gehören sicherlich ins Geschichtsbuch, aber doch nicht in die Ehrenliste!

Und die Rolle dieser Namen ist leider eindeutig. Sie stehen für Kolonialverbrechen,

vor allem aber stehen sie für ein gewisses Geschichtsverständnis: Die Haltung des imperialen Deutschen Kaiserreichs, diese Kolonialverbrechen zu glorifizieren.

Es geht also nicht nur darum, was die Rolle dieser Namen war, sondern vielmehr darum, wie wir sie heute rezipieren, wie wir sie in unsere Gegenwart einordnen.

Und hier müssen wir zugeben:

Diese Namen als Eintrag auf einem Stück Blech zu zeigen oder gar in einem QR-Code zu verstecken zeugt nicht von Haltung, sondern von Halbherzigkeit!

„Wo fangen wir an, wo hören wir auf“ ist ein Motto gegen die Umbenennung. Die eindeutige Antwort ist: Das weiß kein Mensch! Denn, Geschichte, und wie wir sie heute neu lesen und darstellen, ist etwas Dynamisches, das sich ändert und wandelt und ist nicht in Stein gemeißelt.

Was heute hinnehmbar ist, könnte morgen unerträglich sein.

Aber heute reden wir über diesen konkreten Antrag, über drei Straßen in Dahlem, wir führen keine Generaldebatte, wann, wo ob wir überhaupt Straßen oder Plätze umbenennen sollten oder nicht.

Es ist sicherlich auch eine Frage der Abwägung: Ich bin etwa nicht froh, dass wir den Republikfeind Hindenburg weiterhin ehren. Ich muss aber einsehen, dass der Aufwand zu groß wäre, und da sagt mir mein Gespür für Realismus, lass es lieber sein, es gibt auch andere Prioritäten.

Wenn ich aber den Aufwand in diesem konkreten Fall sehe, der steht gleich auf null.

Es gibt ja kaum Anwohner, kaum Geschäfte, und die Hauptanliegerin, die Freie Universität, wünscht sich sogar, dass ihr Immatrikulationsbüro nicht den Namen eines Kanonenboots trägt, das in kolonialer Mission Mord und Leid in China verbreitet hat!

(An dieser Stelle möchte ich die kleine Anekdote erzählen:

Das erste Goethe-Institut weltweit wurde in Athen gegründet. Auf dem Briefkopf stand jedoch als Adresse der Münchner Zentrale nicht die richtige Adresse, sondern der Name einer Nebenstraße, wo kein Eingang war.

Denn das Goethe-Institut in München liegt in der Dachaustraße. Was die Menschen damals, völlig zurecht, als nicht zumutbar eingeschätzt und sich für diesen Straßennamen wohl geschämt haben.)

In diesem Antrag über die Umbenennung von drei kleinen Straßen in Dahlem sehe ich eine sehr gute Möglichkeit, ohne Aufwand und sogar mit der Zustimmung der Anlieger, ein Zeichen zu setzen. Zu zeigen, dass wir in unserer Stadt, in unserem Bezirk, nicht nur Geschichte lesen wollen, sondern auch selber schreiben, oder zumindest wiedergutmachen.

Ich wünsche mir sehr, dass wir alle den Mut dazu haben und dafür stimmen!”

geschrieben am 5. Juli 2024 von Karl-Heinz Hage